Reinhold Koehler
Dosendrucke
Märkisches Museum Witten


Vortrag anläßlich der Ausstellungseröffnung am 29. August 2009

1966 bekam Reinhold Koehler ein Stipendium der Aldegrever Gesellschaft zugesprochen. Ausgelobt war ein einmonatiger Arbeitsaufenthalt in der Druckerei Kätelhön in Wamel am Möhnesee. Ziel des bis heute jährlich vergebenen Stipendiums ist die Pflege und Entwicklung der grafischen Techniken insbesondere der Radierung. Diese spielte in den 50er Jahren kaum noch eine Rolle, die neuen Ströhmungen der Abstraktion und des Informel fanden erst nach und nach ihre Umsetzung in diese Drucktechnik.

Pioniere waren ab etwa 1958 der vor kurzem verstorbene Rudolf Schoofs, seinem Gedenken ist die kleine Ausstellung in den Kabinetträumen gewidmet. Sie bietet einen beispielhaften Einblick in das Schaffen eines wichtigen Zeitgenossen.

Der andere, Koehler auch persönlich bekannte Künstlerkollege, war Emil Schumacher, der seine Radierungen eben dort bei Kätelhön druckte und mit seinen Experimenten das handwerkliche Verständnis der Drucker herausforderte, indem er mit zerschnittenen und geknickten Druckplatten Material und Maschinen strapazierte.

Die Werkstatt im idyllischen Wamel war also vorbereitet für Reinhold Koehler. Dieser hatte bisher kein besonderes Verhältnis zur Radierung entwickelt, es war für ihn z.B. nicht im Blickfeld, das Prinzip der Décollage in diese Drucktechnik zu überführen.

Koehler begann seinen Arbeitsaufenthalt in Anlehnung an seine Sandbilder, an denen er zu der Zeit arbeitete. Er bediente sich zunächst der klassischen Radierung, der Sand wurde übersetzt in Aquatinta, in die Platte geritzte Kreise nahmen zwar die Formensprache der Sandbilder auf, konnten dieser aber nicht entsprechen.

Ich weiß nicht, welcher Zufall oder welcher kreative Geistesblitz ursächlich war, aber der kleine Deckel einer Konservendose brachte die Lösung, mitgedruckt erhielt die Kreisform mit ihren konzentrischen Wellen die richtige, den Sandbildern entsprechende Plastizität.

Der nächste Schritt war bald getan, Koehler hatte die Möglichkeit der Umsetzung seines Bildgedankens in die Drucktechnik der Radierung unversehens gefunden. Und er schaffte darüber hinaus den Übergang in eine völlig neue Form: Er ersetzte die Radierplatte durch das Objekt, das sich selbst darstellt, umgewidmet zum zweidimensionalen Bild. Dieses Vorgehen ist für die Geschichte der Druckgrafik von ganz besonderer Bedeutung.

Die Dosendrucke entwickeln sich in der Folge zu einem eigenständigen Werkabschnitt, den Décollages imprimés, die ganz den décollagierten Objekten entsprechen, etwa den zerschlagenen Flaschen und Tellern, die ihre Gegenständlichkeit verlassen und von Koehler im künstlerischen Sinne umgestaltet, transformiert werden.

Es scheint banal bis abwegig, rostige Konservendosen zu sammeln und sie durch Radierpressen zu ziehen. Die populäre Frage drängt sich auf "Ist das noch Kunst?" oder es weckt den Verdacht des Zufälligen.

Es ist der künstlerische Wille, der Wille zum Bild, der diese Arbeiten ausmacht. Die Dose ist im Prozess der künstlerischen Umformung nicht mehr Objekt, sondern sie wird zum Material, aus dem das Bild geformt wird. Ein solcher Prozess ist keinesfalls zufällig, sondern handwerklich und drucktechnisch höchst anspruchsvoll. Koehler verwendete die verschiedensten Dosen: Konserven aller Art bis hin zu Ölkanistern.

Die Dosen sammelte er auf Schrottplätzen, oft beschädigt und rostig oder sie wurden im intakten Zustand nach Gebrauch dem Haushalt entzogen. Manche Dosen wurden mit wenigen Eingriffen zusammengepresst bzw. platt gemacht, die meisten erfuhren allerdings eine ausführliche Bearbeitung. In einigen Dosendrucken ist diese sehr eindeutig zu sehen, etwa wenn der Dosenboden geöffnet, der Korpus durchschnitten und auseinander gebogen wird. Die Dose wird sozusagen entrollt, geht über vom Raum zur Fläche. Diese kann im weiteren Prozess auch weiter geformt werden, z.B. durch Faltungen oder Knicke.

Vor dem Druck wurden manche Überstände geglättet, deren scharfe Kanten die Papierbögen sonst zerschnitten hätten. Aber nicht nur das Papier wird bei dieser Druckherstellung strapaziert, die Filze, die vor allem die Oberflächen der Druckwalzen schützen sollen, sind oft nach wenigen Drucken nicht mehr zu gebrauchen. Um Milderung bemüht schnitt Koehler aus dicker Pappe passende Schablonen, die den Druckplatten hinterlegt wurden und die so die Schäden in Grenzen hielten.

Die Druckplatten sollte man wegen ihrer immer noch vorhandenen Plastizität besser als Druckobjekte bezeichnen.

Für die meisten Dosendrucke wurde eine einzelne, mehr oder weniger grofle Dose in der genannten Weise verarbeitet. Manchmal sind aber auch weitere Dosendeckel übereinander gelegt bzw. gestapelt mitgedruckt, dadurch werden die konzentrischen Elemente verstärkt. Auf diese Weise eröffnet sich zudem eine einfache Möglichkeit der Mehrfarbigkeit, indem die zusätzlichen Deckel für den Druck anders eingefärbt werden. Das flache Druckobjekt hat Vor- und Rückseite - und es kommt vor, das beide Seiten genutzt wurden.

Der Druckvorgang schließlich entspricht dem Prinzip der Radierung, es braucht bei den Dosen allerdings ein besonders großes handwerkliches Geschick, da die Druckobjekte neue kreative Möglichkeiten eröffnen, die es auch zu nutzen gilt.

Bei der Radierung druckt sich das als Bild ab, was vertieft ist. Das ist anders als beim Holz- oder Linolschnitt, von dem die Oberfläche gedruckt wird. Bei der klassischen Radierung wird die Farbe in die geritzten oder mit Säure geätzten Vertiefungen eingerieben. Anschließend wird die nicht zu druckende Oberfläche mit einem Lappen gereinigt.

Nun hat aber eine Konservendose nur wenig entsprechende Vertiefungen, diese sind eher wellig, gerillt oder es gibt gefaltete Kanten. Würde man nun diese Druckobjekte mit Farbe einreiben und die Oberfläche wie gewohnt mit einem Lappen reinigen, dann bliebe nur wenig Farbe haften und der Abdruck wäre reichlich blass.
Der Wischvorgang ist maßgeblich entscheidend für das Bildergebnis, er ist in dieser Situation ein wichtiger kreative Prozess.

Nachdem das Druckobjekt mit Farbe eingerieben ist, wird sie von Hand von den nicht zu druckenden Partien entfernt, allerdings nicht mit einem Tuch, das zu sehr die Farbe z.B. aus den Dosenrillen wieder herausziehen würde. Gewischt wird u.a. mit geknülltem Papier, das zwar die Oberfläche erreicht, nicht aber so sehr die Rillen. Durch die verbleibende Farbe können diese so im Druck sichtbar werden. Wird immer in eine Richtung gewischt, dann wird durch den scheinbaren Lichteinfall eine besondere Plastizität erreicht. Die knittrige Oberfläche des Druckobjekts hat eine erstaunliche Qualität, die den Faltenwürfen in alten Bildern nahekommt. Koehler selbst freute sich über ein solches Ergebnis.

Der Druckvorgang ist also ein wichtiger Teil des kreativen Prozesses - und das in jedem einzelnen Abdruck wieder. Um das zu verdeutlichen, werden in der Ausstellung einige Probedrucke in verschiedenen Zuständen gezeigt, z.T. mit handschriftlichen Kommentaren Köhlers, wie "zu wenig Druck" oder "Deckel ohne Handton".

Es gibt noch weitere Beispiele für diesen kreativen Part, so wird manchmal die Farbe komplett stehen gelassen, entweder ganzflächig oder in einzelnen Partien. Um solche Ergebnisse zu erzielen, wird in der traditionellen Radierungen üblicherweise die Technik des Aquatinta verwendet, hier ist es Handarbeit oder es ist schlicht und einfach Rost. Dort wo er das Blech angefressen hat, entsteht eine rauhe Oberfläche, die einen Flächenton erzeugt. Das ist eine materielle Besonderheit, die Koehler entdeckte und nutzte.

Wie wichtig die Komposition für die Bildabsicht ist, zeigt sich an einigen Probedrucken, die den Bildraum festlegen oder korrigieren, z.B. mit dem schriftlichen Hinweis "Stand korrigieren!". Bei einem anderen Probedruck ist das Motiv mit Bleistift eingerahmt, hier soll eine Blindplatte einen Rahmen geben, solche Blindplatten sind bei Koehler in der Regel aus fester Pappe geschnitten und werden zusammen mit dem Druckobjekt durch die Presse gezogen. Solche Platten gibt es auch als farbigen Fond, in diesem Fall sind es unbearbeitete Zink- oder Kupferplatten, die eingefärbt und mitgedruckt werden.

Der Druck rematerialisiert bis zu einem gewissen Grad das Objekt, die Dose wird wieder als solche erkennbar. Allerdings hat die Dose eine Umwandlung erfahren, sie ist das Material für eine Komposition, die ganz dem Bildwillen des Künstlers unterworfen ist.
Aus dem Objekt entsteht ein Bild, oft ist es zeichenhaft (die Reihe der Feldzeichen), manchmal gibt es figurative Anspielungen wie z.B. Figur Belgique oder Thorax, wie man sie auch in den Decollagen findet. Ansonsten verweisen die Titel auf die ursprünglichen Objekte, sie zitieren Prägungen im Dosenblech wie z.B. Product of Holland oder Din 40.

Wenn wir von Dosendrucken sprechen, dann ist das lediglich ein terminus technicus, der Bildgedanke Koehlers wird so nicht erreicht.

Bei der Druckgrafik Koehlers mache ich vier Themenkomplexe aus. Da ist zuerst die Gruppe der ersten Arbeiten, die versucht, die Decollage in das Druckmedium zu übersetzen, ausgehend von den Sandbildern bzw. auch so genannten Sand-Figuren. Wichtige Elemente dieser Decollagen sind runde, kraterförmige Vertiefungen und der Wellpappe ähnelnde Riffelungen. Durch die Verwendung des Dosenblechs werden diese Bildelemente in das neue Medium übertragen.

Anfangs wird noch ein weiteres Element der Decollagen in die Drucktechnik übernommen, es sind die Ausrisse aus diversen Druckerzeugnissen oder Schnittmuster, wie sie bereits seit 1957 bei einigen decollagierten Objekten verwendet werden.
Koehler greift hier - selbstverständlich stark abgewandelt - auf ein altes drucktechnisches Mittel zurück, bei dem der eigentliche Druck der Radierung z.B. auf feinem Japanpapier erfolgt, das unter hohem Druck auf das dickere Büttenpapier aufgewalzt wird. Das feine Japanpapier erlaubt eine besonders gute Wiedergabe feinster Linien und kann durch einen abweichenden Papierton das Motiv betonen. Bei Koehler ist der ähnlich verarbeitete Schnittbogen der Fond für das konzentrische Motiv der Dosendeckel.

Eine zweite Gruppe umfasst die objektbezogenen Motive, sie erhalten den ursprünglichen Gegenstand relativ vollständig, so etwa, wenn eine Fischdose plattgedrückt und so abgedruckt wird, vollständig mit der integrierten Drehkurbel. Hier sind es isolierte Bildelemente, alltägliche Gegenstände des Verbrauchs, gelungen transformiert in die Welt der Ästhetik, weil von einer ganz überraschenden Schönheit.

Der dritte auszumachende Themenbereich entfernt sich am weitesten vom Ausgangsobjekt. Die Bearbeitung und die Verarbeitung der Druckobjekte ist komplexer, wir finden Kompositionen die den Bildfindungen der russischen Konstruktivisten um Rodtschenko und Tatlin ähnlich sind.
Und es kommt die Farbe hinzu, zum einen indem Dosenteile additiv und mit unterschiedlicher Färbung verwendet werden, zum anderen wird die Bildfläche eingefärbt. Der Ausgangsgegenstand Dose, das Objekt tritt in diesen Arbeiten zurück, sie sind bildhaft im zweidimensionalen Sinn. Dies führt weiter in die vierte Werkgruppe.

Manche der farbigen Arbeiten wirken signalhaft und dies ganz bewusst wie sich aus Bezeichnungen wie Feldzeichen schlieflen lässt. Koehler reduziert diese noch komplexen Zeichen auf einfache Signale, so wie etwa eine Ampel mit dem einfachen Kreis auskommt, dessen Farbe die Botschaft ist, im Alltag etwas wie "Gehen oder Nichtgehen". Die Variable dieser Arbeiten ist die Farbe.

Die Dose ist in dieser Werkgruppe wieder der anfängliche Dosendeckel, auf den dann in nächster Konsequenz ganz verzichtet wird. Passender Weise ist das Druckobjekt eines der großen Kreismotive ein Verkehrsschild, das - wohl vom Schrottplatz stammend - ohne große weitere Bearbeitung den Weg durch die Radierpresse nahm.

Das letzte Druckobjekt ist eine 17er Schallplatte, schlicht abgedruckt mitsamt des Mittelkreuzes für die Verwendung im Plattenwechsler. Wahrscheinlich brach das Vinyl in der Druckpresse:
Es schließt sich der Kreis des Werkes der Décollage mit den Abzügen der zerbrochenen Schallplatte.

Hier bricht das Werk mit dem unerwarteten und viel zu frühen Tod Koehlers ab, man könnte fragen, wohin der weitere Weg wohl geführt hätte, - den Fragenden auf jeden Fall in den Bereich der Spekulation. Was aber war und was als Werk ist und bleibt, das dokumentiert diese Ausstellung.

Mit ihr und mit dem ersten Band der begonnenen Dokumentation wird ein Künstler gewürdigt, dessen Bedeutung für die Kunst im Wandel des 20. Jahrhunderts nicht in Vergessenheit geraten darf.

Im Katalog zur Retrospektive im Sprengel Museum wurde 1985 konstatiert, dass die kunstgeschichtliche Untersuchung Koehlers noch ausstünde. Hier und heute ist jetzt der Anfang gemacht.

© 2009